In unserer Rubrik "Auf ein Wort" äußert sich der Vorstand der Baugenossenschaft "Freie Scholle" regelmäßig zur aktuellen Entwicklung der Wohnungswirtschaft sowie der hieraus resultierenden Auswirkungen auf unsere Genossenschaft.
Im Dezember 2018 wurde ein neuer Beitrag veröffentlicht. Den aktuellen Beitrag sowie die Beiträge der Vorjahre können Sie unter Über uns / Auf ein Wort nachlesen.
Es ist unbestritten, dass Bau- und Wohnungsgenossenschaften neben kommunalen Wohnungsbaugesellschaften Garanten des sozialen Friedens in Deutschland sind; wie Inseln im Sturm bieten sie Schutz in einem Meer, in dem immer mehr Immobilienhaie auf Raubzug unterwegs sind, weil ihre Opfer immer wehrloser werden. Wer eine der rettenden Insel erreicht hat, kann sich glücklich schätzen, kann er sich doch der Hoffnung hingeben, vielleicht in absehbarer Zeit eine angemessene Behausung zu einem bezahlbaren Preis zu finden. Dieser soziale Frieden kann jedoch nur halten, wenn die, die außen vor – also im Haifischbecken – sind, eine Chance haben, das rettende Ufer zu erreichen. Wird es unerreichbar, so wendet sich das Bild – aus Hoffnung wird Hass und Ablehnung. Tiefe Gräben tun sich auf.
Wenn Genossenschaften mithin einen Aufnahmestopp beschließen, leugnen sie nicht nur ein wesentliches Element ihrer Rechtsform ("Gesellschaft mit offener Mitgliederzah"“ gemäß § 1 Absatz 1 Satz 1 des GenG), sie gefährden auch den sozialen Frieden, denn alle Nichtmitglieder haben keine Chance mehr, ein rettendes Ufer zu erreichen. Und wen soll der Vorstand aufnehmen, wenn sich für eine Wohnung kein Nutzer finden sollte. Am Gerechtesten wäre die Ziehung aus der Lostrommel, denn nur die gewährt gleiche Chancen für alle. Alle anderen Kriterien stehen im Verdacht der Willkürlichkeit, selbst das eines Verwandtschaftsverhältnisses: wo fängt es an, wo hört es auf? Warum soll eine Person, die zufällig einen Onkel in der Genossenschaft hat, einer anderen Person vorgezogen werden?
Auf unseren Bewerberlisten stehen über 620 von rund 5.000 Mitglieder. Etwa 120 davon haben sich für ein Einfamilienhaus eingetragen. Viele Bewerber haben jedoch selbst mit einer zwanzigjährigen Mitgliedschaft kaum eine Chance auf ein Einfamilienhaus, denn jedes Jahr werden regulär nur sechs bis acht Häuser frei. Unter den gegebenen Umständen ist die Zahl der Einfamilienhäuser jedoch nicht beliebig vermehrbar. Einerseits liegt das an den in Berlin nur noch in begrenztem Umfang verfügbaren Grundstücken, andererseits an den dafür nicht vorhandenen Eigenmitteln der Genossenschaft, um damit bezahlbaren Wohnraum für unsere Mitglieder erstellen zu können. Unter den gegebenen Umständen ist zu befürchten, dass wir auch nicht genug Wohnungen für unsere suchenden Mitglieder haben. 58% unserer Mitglieder sind von uns nicht versorgte Mitglieder oder wohnen bereits bei uns und werden sich in den nächsten Jahren voraussichtlich um eine eigene Wohnung bewerben. Rund 1.000 unserer Mitglieder sind unter 25 Jahre alt; 70 davon stehen neben rund 550 anderen als Wohnungssuchende auf jener Bewerberliste. Um diese rund 1.500 aktuellen und potentiellen, jungen Bewerber mit einer Wohnung zu versorgen, werden wir ca. 25 Jahre brauchen, wenn sich die Wohnungssituation in Berlin nicht wesentlich verbessert und die anderen 3.500 Mitglieder in dieser Zeit keinen weiteren Wohnungsbedarf haben. Das ist sehr unwahrscheinlich.
Der Ausweg kann deshalb nur Neubau heißen. Durch Banken finanzierter Neubau wird für die künftigen Nutzer teuer, weil die Banken für das geliehene Geld noch immer Zinsen verlangen. Die Finanzierung durch Geschäftsguthaben oder zinsgünstige Mitgliederdarlehen bietet sich hier als Lösungsweg an.
Ein wesentliches Element einer Mitgliedschaft in einer Genossenschaft ist der genossenschaftliche Solidaritätsgedanke! Das Mitglied, dem ein Haus oder eine Wohnung überlassen wird, profitiert davon, denn das Haus/die Wohnung wurde durch die Gemeinschaft aller Mitglieder finanziert.
Das Mitglied ist bis zum Moment der Überlassung in der Nehmerposition; das Mitglied profitiert von der Stärke der Gemeinschaft. Doch jetzt wendet sich das Blatt. Das Mitglied ist versorgt. Die Solidargemeinschaft weist dem versorgten Mitglied nunmehr die Geberrolle zu. So wie das versorgte Mitglied selbst zum Nutznießer der Solidargemeinschaft wurde, wollen auch Nachkommende und Nachkömmlinge davon profitieren. Diesen die Solidarität zu verweigern, weil das versorgte Mitglied Geld vorübergehend zur Verfügung stellen soll, ist im hohen Grade unsolidarisch und unsozial. Und das ist nur eine milde Umschreibung. Wer von den Vorteilen einer Genossenschaft profitieren will, muss auch zum Geben bereit sein, auch wenn ein Jahresurlaub mal etwas kleiner ausfallen muss.
Deshalb sollte es für jedes Mitglied eine Selbstverständlichkeit sein, weitere Anteile zu zeichnen oder zumindest ein Mitgliederdarlehen zu geben.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches, erfolgreiches und gesundes Neues Jahr.
im Dezember 2018
Antwort auf "Auf ein Wort"
Sehr geehrter Herr Hube,
die Ausführungen in Ihrem Jahresschlusswort zu den Anteilserhöhungen und zum Verzicht auf einen Mitgliederaufnahmestopp veranlassen mich, Ihnen einmal eine andere Sicht der Dinge darzulegen.
Aufnahmestopp
Ziel einer Wohnungsbaugenossenschaft sollte es sein, den Mitgliedern - also im vorliegenden Fall den Baugenossen der Baugenossenschaft Freie Scholle - günstigen, sozial verantwortbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Darunter ist m. E. eine individuelle Förderung der Genossenschaftsmitglieder zu verstehen. Soll heißen, die Baugenossen, die bereits lang-, mittel- oder auch kurzfristig einen Wohnungsbedarf erklärt haben, zu unterstützen und ihnen möglichst rasch einen adäquaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wie hinlänglich bekannt, übersteigt die Nachfrage an Wohnraum leider die Wohnungsangebote der Freien Scholle. Dieser Umstand lässt sich jedoch erst recht nicht dadurch beheben, weiterhin unendlich neue Mitglieder in die Baugenossenschaft Freie Scholle „einzuladen", denn dieses führt zu noch längeren Wartezeiten bei der Wohnungsversorgung (vgl. Satz 1). Hierfür hätten wohnungssuchende Genossenschaftsmitglieder sicherlich wenig Verständnis.
Auch im Wohnungswesen gilt: verstärkte Nachfrage bestimmt den Preis. Insoweit leistet man den langjährigen Baugenossen einen Bärendienst; eine Erhöhung des Nutzungsentgeltes wäre unausweichlich. Mittlerweile liegen die Mieten in der Freien Scholle - zumindest teilweise - über dem durchschnittlichen Mietzinsniveau der landeseigenen Wohnungsunternehmen Berlins. Im Jahr 2017 lag die durchschnittliche Bestandsmiete landeseigener Unternehmen bei 5,91 €/m² (Quelle: Tagesspiegel I vgl. auch Satz 1 dieser Ausführung).
Nach alledem wäre ein (zumindest) zeitlich begrenzter Aufnahmestopp eine kluge Entscheidung. Durch eine derartige Maßnahme - wie sie bereits andere Wohnungsgenossenschaften praktizieren - säe man sicherlich keinen Hass; der soziale Frieden wäre auch nicht gefährdet. Und das Wesen der Wohnungsbaugenossenschaft bliebe weiterhin bestehen; die Rechte als eingetragene Genossenschaft (eG - mit offener Mitgliederzahl) gingen nicht verloren.
Da m. W. seit Jahren kein Wohnungsleerstand in der Freien Scholle besteht, sind ihre Ausführungen (…“wen soll der Vorstand aufnehmen, wenn sich für eine Wohnung kein Nutzer finden sollte...") bezüglich der Aufnahme neuer Mitglieder missverständlich. Insbesondere müsste man sich auch über mögliche Verwandschaftsverhältnisse (..."Onkel in der Genossenschaft" ...) keine Gedanken machen. Bei der großen Anzahl der Wohnungssuchenden wäre doch sicherlich ein Nutzer zu finden. Die Zuständigkeit für eine breite, überregionale Wohnungsversorgung sollte wohl bei den großen Wohnungsvermietungs- und den landeseigenen Wohnungsunternehmen mit hohen Mitgliederzahlen verbleiben.
Anteilserhöhungen
Der von Ihnen zu Recht hervorgehobene Solidaritätsgedanke, der besonders in einer Genossenschaft gelebt werden sollte, stößt jedoch dort an Grenzen, wo der Gemeinschaft nicht gerechtfertigte Auflagen gemacht werden sollen. Anteilserhöhungen bzw. Mitgliederdarlehen vorschreiben zu wollen ist schon bemerkenswert abwegig. Dieser damit requirierte Betrag von ca. 2 bis 3 Millionen € dient lediglich der Finanzierung eines Neubauvorhabens. Werden Teile der Baugenossenschaft Freie Scholle demnächst im Land Brandenburg zu finden sein? Inwieweit profitieren die derzeitigen Genossenschaftsmitglieder hiervon, wollen sie ihre Wohnungen in der Freien Scholle doch gar nicht gegen eine Bleibe in einem Neubau “janz weit draußen" tauschen. Dort wird der Mietzins sicherlich in eine für Viele unbezahlbare Höhe steigen.
Wie soll z. B. eine fünfköpfige Familie die Zahlung derartiger Anteilserhöhungen finanziell stemmen? Wie eine Familie, die nicht auf ein ausreichendes Monatseinkommen zurückgreifen kann? Wie sollten weniger finanziell bemittelte Rentner dieses schaffen? Diese v. g. und weitere nicht genannten Gruppen verfügen eben nicht über ein üppiges Einkommen eines Vorstandsmitgliedes eines Unternehmens oder einer Baugenossenschaft. Nein, sie sind in der Wohnungsbaugenossenschaft wohnhaft, weil dort noch sozial verträgliche Nutzungsentgelte erhoben werden. Und auch aus Tradition: sind doch einige in der Freien Scholle mit dem von Ihnen hervorgehobenen Solidaritätsgedanken aufgewachsen, leben diesen heute noch und geben diesen in der Familie weiter. Durch derartige in Rede stehende Maßnahmen droht dieses mittelfristig zu verschwinden. Anteilserhöhungen bedeuten mithin eine indirekte Mieterhöhung, die zudem in einer einmaligen größeren Summe zu entrichten wäre. Den Mitgliedern in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit der Finanzierung durch Verzicht auf Teile ihres Jahresurlaubes vorzuschlagen, ist, gelinde gesagt, bemerkenswert befremdlich. Da erhält der von Ihnen als Vorstandsmitglied hervorgehobene Gedanke des sozialen Friedens und der Solidarität eine ganz neue Bedeutung.
Im Übrigen: Sollte ein Mitglied eine Anteilserhöhung nicht leisten können, so verweigert sich diese Person nicht gleich der Solidarität gegenüber den anderen Genossenschaftsmitgliedern. Im Notfall würde dieses sogar zu einer erweiterten Haftung jedes einzelnen Mitgliedes im Falle einer „Schieflage" der Genossenschaft führen.
Zusammengefasst: Mitgliederdarlehen und/oder Anteilserhöhungen sollen, so entnehme ich es ihren Ausführungen, der Finanzierung von Grundstückserwerb und Wohnungsneubau dienen. Kein günstiges Unterfangen in der jetzigen Zeit, liegen doch die Grundstückspreise und Bauerrichtungskosten auf höchstem Niveau. Vielleicht sollte doch erst der jetzige Neubau „Lilienthals Hof” abgeschlossen werden, bevor neue „Klimmzüge", besonders in finanzieller Hinsicht, unternommen werden.
Schlusswort:
„Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder, vorrangig durch eine gute, sichere(!) und sozial verantwortbare(!) Wohnungsversorgung". Dieser § 2 Abs.1 der Satzung sollte über Allem stehen. Und dem Vorstand fällt die Aufgabe und Pflicht zu, die Geschäfte der Genossenschaft entsprechend der genossenschaftlichen Zielsetzung zu führen (§ 23 Abs.2 Satz a der Satzung).
Anteilserhöhungen wären der falsche Weg. Die Versorgung der Stadt Berlin mit Wohnungen sollte durch die Wohnungspolitik bestimmt und von Wohnungsfirmen sowie von den landeseigenen Wohnungsunternehmen umgesetzt werden. Die Baugenossenschaft Freie Scholle hat nicht zuletzt durch den derzeitigen Neubau ihren Beitrag an der Berliner Wohnungsversorgung geleistet. Sie sollte weiterhin eine sozial verträgliche Wohnungsvermietung durchführen und für ihre Mitglieder da sein. Ein Aufnahmestopp, zeitlich begrenzt, wäre insoweit ein Zeichen. Die Baugenossenschaft Freie Scholle kann nicht alle Wohnungssuchende aus dem „Haifischbecken" retten.
Ich würde mich freuen, sollten meine Ausführungen Anlass zu Diskussionen innerhalb des Vorstandes und des Aufsichtsrates führen.
Mit baugenossenschaftlichem Gruß
Henning Rätz